Amazon-Händler klagen über Preisverfall und Logistikprobleme

Der E-Commerce ist in eine neue Entwicklungsstufe eingetreten. Nach den Sturm- und Drangjahren mit teils zweistelligen Wachstumsraten müssen gerade viele selbstständige Händler auf den großen Marktplätzen jetzt kleinere Brötchen backen. „Effizienz“ lautet das Gebot der Stunde –künstliche Intelligenz könnte der Schlüssel dazu sein.

Martin Heubel war einst eine große Nummer bei Amazon. Heute ist der E-Commerce-Profi Chef eines Analyse- und Beratungshauses mit Sitz in London. Doch sein alter Arbeitgeber lässt ihn nicht los. Heubel berichtet in seinem Blog und auf LinkedIn regelmäßig über wichtige Trends, die vor allem das Binnenverhältnis zwischen Amazon und den vielen, vielen Sellern auf dem führenden digitalen Marktplatz der Welt betreffen. Pro Tag treten nach Studien Tausende neuer Händlerinnen und Händler auf den weltweit und auch in Deutschland mit Abstand dominierenden E-Commerce-Handelsplatz. Doch wo immer mehr Angebot herrscht, da steigt der Wettbewerbsdruck und da erodieren die Margen.

Mit Blick auf das Geschäftsjahr 2023 auf Amazon registriert Analyst Heubel einen zunehmenden Mangel an effektiver Kommunikation zwischen dem Branchenprimus Amazon und den kleineren Händlerinnen und Händlern. Mitunter werden gravierende Änderungen mit nur sehr kurzer Vorlaufzeit „kommuniziert“. Ein Beispiel: Ende Juli dieses Jahres wurden Amazon-Seller darüber informiert, dass sie innerhalb von nur 30 Tagen einen Nachweis über eine bestehende Betriebshaftpflichtversicherung vorweisen müssen. Das greift bereits ab einem monatlichen Bruttoumsatz aus Transaktionen von 5.000 Euro.

Wer alle Bälle selbst in der Hand hält, ist schnell überfordert

Mehr Effektivität und mehr Effizienz sind nach den Aussagen von Heubel auch entscheidend für die Prozessautomatisierung. Viele Prozesse gerade im Backend kleiner Onlineshops laufen noch analog ab, wenige Personen – meist der Gründer oder die Gründerin und nahe Verwandte und Freunde – kümmern sich selbst um alles: Kundendialog, Warenversand, Rücknahmen, Bezahlung, die im Fachjargon „Reimbursement“ genannten Rückerstattungen sowie das Beschwerdemanagement. Das Ergebnis solcher „Overloads“ ist absehbar: oft völlige personelle Überlastung und chaotische Abläufe.

Nun haben kleine Händler nicht die Finanzkraft, um vom einen auf den anderen Tag in mehr wesentlich mehr Personal zu investieren. Doch das müssen sie auch gar nicht. Kaum eine Branche eignet sich für den Einsatz von künstlicher Intelligenz so sehr wie der bereits weitgehend durchdigitalisierte Onlinehandel. Die Grundlagen für den wirksamen Einsatz von KI sind vorhanden. Das sehen auch mehr und mehr Händler so, zeigt eine jüngst veröffentlichte Studie des Beratungshauses JungleScout: Rund 50 Prozent der befragten Amazon-Händler haben bereits KI eingesetzt, um ihre Abläufe im Onlineshop zu optimieren.

Wer als Händler nicht höchst effizient arbeitet, riskiert, den Anschluss zu verlieren. Besonders kleinere Verkäufer auf großen Plattformen wie Amazon sind darauf angewiesen, ihre Abläufe schlank zu halten. Sie haben oft keine großen Teams und müssen gleichzeitig Bestellungen, Warenmanagement, Retouren, das Reimbursement und Beschwerden bewältigen. Das ist anstrengend und ineffizient.

Experten sehen vor allem im Backend-Bereich dieser Händler noch erhebliches Optimierungspotenzial. Hier kann künstliche Intelligenz eine entscheidende Rolle spielen. KI hilft dabei, Prozesse im Onlinehandel zu straffen, zu automatisieren und ermöglicht es Händlerinnnen und Händler, sich auf profitablere Aufgaben zu konzentrieren.

Digitaler Assistent „Arthy“ hat stets ein wachsames Auge auf Preise, Absatz und Lagerbestand

Moderne KI-Systeme sind inzwischen in der Lage, Onlineshops effizient zu verwalten. Ein Beispiel ist das Tool „Arthy“, das speziell für Amazon-Verkäufer entwickelt wurde. Diese in Deutschland entwickelte Software übernimmt automatisch die Analyse, Optimierung und Überwachung des Shops. „Arthy“ arbeitet wie ein fester Mitarbeiter des Teams, rund um die Uhr, analysiert dabei die aktuellen Verkaufsdaten und gibt Empfehlungen zur kundenindividuellen Preisgestaltung und Produktbündelung, um den Umsatz zu steigern.

Anstatt pauschale Angebote zu machen, reagiert die KI in Echtzeit auf das Kaufverhalten der Kundeninnen und Kunden und passt die Angebote individuell an. Florian Giday, Geschäftsführer von Amz.tools, sieht in solchen digitalen Assistenten „die Zukunft des deutschen Onlinehandels“.

Bild: Während der Marktdruck auf Amazon steigt, rückt Effizienz in den Fokus – mit künstlicher Intelligenz als potenziellem Game Changer. Bild: Pexels, Eric Mclean

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

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